Heute vor 36 Jahren endete seine Karriere ...
Frank Steffan hat im Buch ein Nachwort geschrieben, das will ich hier mal veröffentlichen:
Er war Rock´n Roll
Dass dieses Buch und der gleichnamige Film nicht ganz ohne emotionale Verbundenheit entstanden sind, kann und soll nicht geleugnet werden.
Als elfjähriger Jugendlicher habe ich Heinz Flohe das erste Mal bewusst wahrgenommen. Natürlich bei einem Heimspiel des 1. FC Köln, wobei ich allerdings nicht mehr weiß, welches es gewesen ist. Aber ab dem Zeitpunkt als es in der Müngersdorfer Radrennbahn losging, kann ich mich an wahnsinnig viele Spiele konkret erinnern. Von 1971 bis 1975 war ich bei fast jedem Heimspiel, zumeist in der Südkurve. Man hat am Zaun gehangen und wie gebannt aufs knallgrüne Spielfeld geblickt. Wolfgang Overath faszinierte mich. Er war eine echte Erscheinung, ein Weltstar und das kam so rüber. Overath war auch jenseits von Köln als internationale Größe akzeptiert, wurde wahrgenommen, allerdings schlugen ihm nicht die Sympathien der bundesweiten Medien und Fußballfans entgegen. Sehr zu unrecht, wie ich fand. Aber da war noch einer: HEINZ FLOHE. Der packte mich umso mehr. Ich war immer möglichst früh im Stadion, um auch das Aufwärmen zu sehen. Was da von Flohe geboten wurde, war alleine das Eintrittsgeld dreimal wert. Flohe war ein Ausbund an Lässigkeit, aber nicht aufgesetzt, nein, völlig natürlich. Er bewegte sich so unglaublich geschmeidig, so souverän, so stimmig, dass es sich mir ins Gedächtnis gegraben hat. Er tänzelte mit dem Ball an der Seitenlinie entlang, zog dort seine Bahnen und wenn sich ihm einer seiner Mitspieler eher spaßeshalber in den Weg stellte, dann packte er wie selbstverständlich einen Trick aus seiner so reichlich gefüllten Kiste aus, dass einem nur der Unterkiefer runterfallen konnte. Ich habe bei diesen Aufwärmeinheiten so viele Dribblings von ihm gesehen, wie ich sie in dieser Form nie wieder bei irgendeinem Weltklassespieler gesehen habe. Wahrscheinlich sind diese Radrennbahn-Warm-Ups nie gefilmt worden, was verdammt schade ist, denn dass, was er da und auch im normalen Mannschaftstraining zeigte, war noch weit mehr als die Kunststücke, die er in gut 300 Bundesligaspielen bot. Die Dribblings waren das eine, seine Schusstechnik das andere. Meistens wurde der Torwart vom damaligen Torwarttrainer der Kölner, Rolf Herings, warm geschossen. Herings hatte einen Bombenschuss, aus dem Stand heraus, unglaublich hart und präzise. Aber richtig irre wurde es, wenn Flohe dazu kam. Egal, was er machte, ob er scharf schoss oder mit Effet, nah oder fern, ganz egal, der Torwart sah nicht selten hilflos aus. Wenn er dann von weit weg Vorlagen gab, dann kamen sie so millimetergenau an, dass es an Zauberei grenzte. Ich kann mich dran erinnern, dass der damalige Kölner Torwart, Gerhard Welz irgendwann nach sechs oder sieben Flohe-Torschüssen entnervt rief: „Ist jetzt gut, Flocke, hör bitte auf!“
Flohe war anders als alle anderen. Er war Rock´n Roll. Seine Spielweise war nicht angepasst und der Typ erst recht nicht. Fast alle hatten damals lange Haare, aber Flohe hatte anders lange Haare. Wild, ungestüm, explosiv, so sah seine Show meistens aus. Er hatte in jeder Hinsicht einen unverwechselbaren Touch. Flohe war eine echte Stilikone, aber ohne PR-Agentur à la Beckham und deshalb auch nicht bundesweit als solche wahrgenommen worden.
Es konnte passieren, dass er nicht gut drauf war, dann trottete er rum, kickte nur lustlos und irgendwie unbeteiligt vor sich hin. Man nahm ihm das nicht übel. Jeder Künstler hat mal einen schlechten Tag. Künstler brauchen Schaffenspausen. Es war offenkundig, dass da ein Künstler am Werk ist, der sein Ding durchzieht.
Dass diese Radrennbahn-Jahre etwas Besonderes sein könnten, das konnte man damals schon erahnen. Alles war eine Art permanenter Ausnahmezustand. Das Stadion selbst, die FC-Spieler, das ganze Mannschaftsgefüge, die allgemeine Zeitstimmung der frühen 70er Jahre und Heinz Flohe als die Symbolfigur dieser unglaublichen Epoche, all das zusammen genommen war eine ganz spezielle Mischung. Später, im damals neuen Stadion, wurde es dann normaler, weniger spektakulär, dafür aber erfolgreicher. Der durchschlagende Erfolg des 1. FC Köln in dieser Phase war ohne Flohe genauso undenkbar wie die unorthodoxe Radrennbahn-Zeit.
Als die Karriere des Heinz Flohe auf tragische Weise beendet war, kam es zur ersten Begegnung mit ihm. Ich bin ziemlich genau zehn Jahre jünger als er, war also Anfang 20, als es zum ersten Mal in Euskirchen zu einem Zusammentreffen kam. Ich weiß beim besten Willen nicht mehr, wie es gelingen konnte, dieses Treffen überhaupt zu vereinbaren. Es war im Frühjahr 1980 und der Aufhänger meines Anrufs bei ihm war die Idee eine Story über ihn und seine Situation nach dem Steiner-Foul zu machen. Dass er zustimmte, muss damit zu tun gehabt haben, dass ich eher den Eindruck eines Hardcore-Fans denn eines kritischen Journalisten erweckte. Ich fuhr also mit meinem Freund Thomas Schneider hin und was dann genau passierte, weiß ich ebenfalls nicht mehr. Er war für mich weit mehr als ein fußballspielendes Jugendidol, ihm zu begegnen, war alles andere als normal. Auf alle Fälle saßen wir letztendlich im Wohnzimmer der Familie Flohe, tranken Kaffee und irgendwie verstand man sich. Da ich alles über den Spieler Heinz Flohe wusste, konnte ich trotz aller Unsicherheit kaum Blödsinn erzählen oder dämliche Fragen stellen. Auch aus seiner Sicht musste das Treffen akzeptabel gewesen sein, denn andernfalls hätte es danach nie mehr einen Kontakt gegeben, wie ich heute weiß. Manchmal wurde telefoniert, meist kurz und bündig. Im Laufe des Jahres 1982 produzierte ich mein allererstes Buch. Titel: „So ein Tag …“, die Geschichte des 1. FC Köln von 1963 bis 1983. Ich wollte Heinz Flohe in der Form drin haben, wie es seiner Bedeutung entsprach. Ich redete jetzt länger mit ihm und sagte ihm, dass ich seine Statements zum Geschehen gerne dabei hätte und dass ich ihm das vorformulieren könnte. Er sagte damals nur: „Mach, Jung!“ Also machte ich. Es wurden längere Abhandlungen, alles wurde vorab mit ihm besprochen, dann zumeist am Telefon vorgelesen, geringfügig umgemodelt und schlussendlich in abgetippter Form zugeschickt. Immer hieß es: „Is jood, mach!“ Als das Buch dann erschien, gab es eine Präsentation im Kölner Kaufhof. Er war gleich bereit zu kommen, auch Wolfgang Weber stimmte sofort zu. Eine harte Nuss war allerdings Wolfgang Overath, der sich lange zierte. Am Ende waren alle Drei da und es wurde ein beeindruckender Event. 600 Menschen kamen und belagerten die Ex-Stars. Als alles vorbei war, wollte ich ihm sein vereinbartes Honorar geben, was sich schwierig gestaltete. Wir hatten es vorher vereinbart, aber jetzt wollte er das Geld nicht nehmen!
Im Laufe der nächsten Jahre blieb man lose in Verbindung. Richtig eng wurde es dann 1993 und `94 als ein weiteres „So ein Tag …“-Buch erschien, auf dessen Cover er zusammen mit Hennes Weisweiler war. Er kam regelmäßig alle 14 Tage zu uns ins Büro am Hansaring, blieb ein, zwei Stunden bei Kaffee, ein paar Zigaretten und Smalltalk. Er nahm immer einen ganzen Kofferraum voll Bücher mit, fuhr nach Euskirchen und verkaufte sie. Spätestens nach 14 Tagen musste der Kofferraum wieder gefüllt und die Kaffeemaschine angeschmissen werden. Auch in dieser Zeit fanden eine Reihe Autogrammstunden mit ihm statt. Danach ging man meistens etwas essen. Ich denke, dass es eine vertrauensvolle Verbindung war, dass er Spaß hatte. Als 1997 der Dokumentarfilm „FC – Der Film“ produziert wurde, war es mir enorm wichtig, dass er ebenfalls als Zeitzeuge auftritt. Er wollte es nicht. Nicht weil er es sich nicht zutraute, sondern weil er sich damals nicht zeigen wollte. Ich bedauere es bis heute, ihm die Bedenken nicht genommen zu haben.
Man sah sich bei FC-Spielen, hin und wieder auch zufällig in der Stadt und einmal kam er unangemeldet am Hansaring vorbei. Das muss im Herbst 2007 gewesen sein. Er wollte das „So ein Tag …“-Buch über die EM-Geschichte der Nationalmannschaft kaufen. Ihm ist es nicht gelungen das Geld loszuwerden. Auch an diesem Tag setzte man sich zusammen und unterhielt sich eine ganze Weile. Es war das letzte persönliche Zusammentreffen.
Wenn man jemanden anfangs nur öffentlich wahrnimmt, ihn für das, was er da aufführt sogar bewundert und diese Person dann später persönlich kennenlernt, dann ist die Enttäuschung oft groß. Die Person entpuppt sich nicht selten als etwas ganz anderes, als man gedacht oder gehofft hat. Bei Heinz Flohe war es nicht so. Er hatte wirklich etwas von einem Künstler oder sagen wir besser von einem Boheme. Ich habe selten jemanden erlebt, der Introvertiertheit und Extrovertiertheit so in sich vereinte. Er war eine komplexe und hoch interessante Persönlichkeit und ich bin froh drum ihm häufiger begegnet zu sein.
Als die Idee zum Film und zum Buch Gestalt annahm, gab es durchaus Bedenken, ob es überhaupt in seinem Sinne wäre. Rummel oder gar Personenkult um sich selbst, hatte er stets vehement abgelehnt, es war eine seiner Konstanten, sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen. Das ist sympathisch, keine Frage, aber letzten Endes ging es nicht drum die Person zu überhöhen oder blindlings abzufeiern, sondern darum klarzustellen, wer er tatsächlich war: Ein ganz besonderer Ballkünstler, einer, der den deutschen Fußball revolutioniert hat. Und da das jenseits des Rheinlands kaum jemand weiß, ist eine solche Dokumentation mehr als zulässig. Ich habe diesen Punkt mit einigen Leuten besprochen, die ihn gut gekannt haben. Mit allen, aber auch speziell mit seinem Sohn Nino bin ich einer Meinung. Heinz hätte mit Sicherheit gesagt: „Lasst das bleiben!“ Er hätte sich abgewendet aber höchst wahrscheinlich irgendwann zu sich selbst gesagt: „Hm, okay, warum eigentlich nicht? Bekomme ich also doch noch was zurück.“ Wäre Nino anderer Meinung gewesen, hätte es weder dieses Buch, noch den Film gegeben.